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Gegen den Alltagstrott

09.02.2019 | All my Loving @Berlinale

Nele Mueller-Stöfen schrieb am Drehbuch mit und spielt eine der drei Hauptrollen

In seinem Berlinale-Film "All my Loving" widmet Regisseur Edward Berger sich dem turbulenten Leben der drei Geschwister Stefan, Julia und Tobias gespielt von Lars Eidinger, Hans Löw und Nele-Mueller Stöfen, mit der er auch das Drehbuch schrieb. Im Interview verraten Berger und seine Frau Mueller Stöfen unter anderem, was Hamburg als Filmstadt ausmacht und wie sie ans Drehbuch herangegangen sind.

Wie war es, mit dem kleinen Starensemble bestehend aus Lars Eidinger, Hans Löw und Nele Mueller-Stöfen zu arbeiten?

Die drei haben sich sofort wie echte Geschwister angefühlt. Sie haben sich zugehört, miteinander gespielt und gegenseitig voneinander abgenommen. Da "All My Loving" eine Art Episodenfilm ist, hatten sie nur leider viel zu wenig gemeinsame Szenen. Sie treffen sich einmal zu Beginn und am Ende des Films, das war's. Aber immer wenn sie sich sehen, ist es für mich eine Freude. In den einzelnen Episoden konzentrieren wir uns ganz stark auf jeweils eine der drei Figuren. Im Grunde lässt die Kamera sie nie aus den Augen und zeigt uns auch nicht viel anderes als diesen einen Menschen, damit es für den Zuschauer kaum eine andere Möglichkeit gibt, als sich mit ihm auseinanderzusetzen. Wir wollten dem Zustand der jeweiligen Figur genau auf den Grund gehen, ihn ganz klar und einfach beschreiben. Dadurch war die gemeinsame Arbeit sehr intensiv.

Ein Teil der Dreharbeiten zu"All My Loving" hat auch in Hamburg stattgefunden. Was macht die Stadt für Filmschaffende aus deiner Sicht so spannend?

Wenn man nach Hamburg kommt, schlägt einem eine ganz eigene Atmosphäre entgegen. Ich habe das Gefühl, die Menschen in der Stadt sind sehr offen, offener als in anderen Städten. Irgendwie bekommt man vermittelt, dass alles möglich ist. Bei so einer Stimmung macht das Drehen wirklich Spaß. Außerdem hat die Stadt eine Weite, die man in anderen Orten nicht findet. Eine klare Architektur, die es einem leicht macht, gute Bilder zu finden. Ganz im Ernst, ich komme sehr, sehr gerne wieder.

Edward Berger (2.v.l.) bei der WarmUp Party der FFHSH im Januar
Die drei Geschwister in "All My Loving" stehen alle an einem Scheidepunkt in ihrem Leben, an dem sie etwas verändern wollen, bevor die zweite Lebenshälfte beginnt. Hattest du diesen Punkt bereits selbst in deinem Leben oder hast du gemeinsam mit deiner Frau Nele Mueller-Stöfen die Inspiration aus eurem Freundeskreis gezogen?

Das weiß ich gar nicht.Ich glaube, jeder von uns steht ja immer wieder vor Entscheidungen, die ausschlaggebend für das weitere Leben sind, egal ob man 20, 40 oder 60 ist. Ich persönlich tendiere dazu, immer sehr lange zu grübeln bevor ich mich entscheide, alle Punkte abzuwägen und das Für und Wider zu untersuchen. Und nach der ganzen Prozedur gehe ich dann doch nach dem Bauch. Eine komplette Energieverschwendung also, das ist total verbesserungswürdig.

Aber im Grunde geht es in unserem Film auch stark darum, sich gegen jedweden Trott zu wehren. Mir ist es wichtig, wachzubleiben, mich immer wieder zu verändern, damit ich nicht in eine Art Alltag verfalle. Am Ende will ich mich selbst überraschen. Sonst würde mir langweilig werden.

Hast du dir die Rolle der Julia direkt auf den Leib geschrieben oder war beim Drehbuch-Schreiben noch gar nicht klar, wer die Rolle übernehmen würde?

Vor einiger Zeit kamen Edward und ich auf die Idee, ein Buch über drei Geschwister zu schreiben. Während wir anfingen, über sie nachzudenken, verschärften sich ihre Wesenszüge und plötzlich bekamen sie ein Gesicht. So entstand auch Julia. In dem Moment, wo sie mit einer anderen Figur in den Dialog tritt und sich verhalten muss, wird unser Charakter lebendig. Dabei habe ich beim Schreiben nicht daran gedacht, ob mir die Rolle der Julia vielleicht liegen könnte. Das hätte mich auch eingeschränkt und wahrscheinlich wären mir die Ideen ausgeblieben. Also versuche ich beim Schreiben, die Schauspielerin Nele außen vor zu lassen. Irgendwann hat Edward mich gefragt, ob ich nicht die Julia spielen möchte, weil er es sich mit mir sehr gut vorstellen könne. Natürlich habe ich sie dann gespielt, und das mit Freuden.

Lars Eidinger ist alles "Stefan" ebenfalls mit von der Party
Was war für dich bei "All My Loving" die größere Herausforderung. Drehbuch oder Schauspielerei?

Beides war eine spannende und großartige Herausforderung. Da gibt es kein mehr oder weniger. Was schön war, ist, dass wir unsere Charaktere entwickelt und positioniert haben und ich dann der Julia eine Stimme geben konnte, indem ich sie verkörpert habe. Das war eine tolle Erfahrung, weil ich wieder gemerkt habe, dass die Figuren erst dann ganz da sind, wenn sie interagieren. Erst durch die anderen Schauspieler, also die Charaktere mit denen sie lebt, war Julia plötzlich vollständig da.

Warum sollte man "All My Loving" auf gar keinen Fall verpassen?

Es sind die Geschichten der drei Geschwister, die faszinieren. Drei Personen, die sehr eigen und dabei liebenswert sind. Sie machen Fehler, wie alle anderen Menschen auch. Und sie versuchen aus ihren Fehlern zu lernen. Mal mehr, mal weniger. All My Loving ist ein Film, der uns auffordert, Veränderungen im Leben nicht zu scheuen, sondern offen entgegen zu treten, sodass man seinem Glück immer ein Stückchen näher kommt.

Credits: Filmstills: port au prince pictures Gruppenfoto: Jasper Ehrich
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