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Edgar Allan Poe hätte es gefallen

28.02.2019 | Der Goldene Handschuh

Die Kneipe "Zum goldenen Handschuh" wurde komplett in einem Studio nachgebaut

Seit dem 21. Februar läuft Fatih Akins Romanverfilmung "Der Goldene Handschuh" in den deutschen Kinos. Ein echtes Hamburg-Projekt, das komplett in der Hansestadt gedreht wurde. Viele der Aufnahmen sind jedoch nicht an den Originalschauplätzen, sondern im Studio entstanden. Warum? Das verraten wir euch hier.

Wer in Hamburg als Tourist die Reeperbahn entlangschlendert, biegt nach geraumer Zeit automatisch auf den Hamburger Berg ab, wo man mit den Menschenmassen in die Bars und Clubs hineingespült wird, nur um einige Stunden später wieder in Rauch getränkt ausgespuckt zu werden. Direkt am Anfang des Bergs liegt auf der linken Seite die Bar "Zum goldenen Handschuh" mit ihren markanten Leuchtschildern, die einen goldenen Boxhandschuh zeigen. Eigentlich eine Bar wie jede andere – wäre es nicht die Stammkneipe des Frauenmörders Fritz Honka gewesen, der hier Anfang der 70er Jahre seine Opfer mit nach Hause nahm. Seit Anfang der 2000er prangt ein weiteres Schild über dem Eingang: "Honka-Stube".

Akin mit seinem Hauptdarsteller Jonas Dassler, der mit aufwendigem Make-Up in die Rolle des Frauenmörders schlüpft

Seit dem 21. Februar läuft Fatih Akins Berlinale-Film Der Goldene Handschuh in den deutschen Kinos, in dem er, wie Heinz Strunk bereits 2016, die Geschichte des Serienmörders nachzeichnet, der seine Opfer erst zersägte und sie dann in der Abseite seiner Wohnung verwesen ließ. Praktisch für Akin, dass es die Kneipe immer noch gibt, könnte man meinen. Doch es wurde nicht eine Szene in der Bar gedreht: „In der Kneipe hätten wir gar nicht drehen können, weil sie bis auf Heiligabend nie geschlossen ist. Sie hat so viele Stammgäste, dass die sicherlich auf die Barrikaden gegangen wären", verrät Produzentin Nurhan Şekerci-Porst. So entschloss man sich kurzerhand dafür, die Kneipe komplett in einem Studio in den Hallen des ehemaligen Überseezentrums aufzubauen – im Maßstab 1:1. Hier konnte Hamburgs Kultregisseur ungestört drehen.

Für den Bau von Kneipe und auch Honkas Wohnung waren Art Director Seth Turner und Szenenbildner Tamo Kunz verantwortlich, letzterer arbeitet seit "Gegen die Wand" mit Akin zusammen und war auch beim Golden Globe-Gewinner „Aus dem Nichts" mit an Bord. Beim Goldenen Handschuh hat er ebenfalls nichts dem Zufall überlassen. Ob Kneipe oder Honkas Dachgeschosswohnung – wer die Filmszenen mit Fotos aus den 70er Jahren vergleicht, wird kaum Unterschiede feststellen. Selbst die Pornoheft-Ausschnitte, die Honkas Wohnung zieren, stammen aus echten alten Magazinen. Für die Kneipe hat das Team sich indes Rat beim Fachmann geholt: „Ich habe mich von Handschuh-Betreiber Sascha Nürnberg beraten lassen. Was schenken sie wie aus? In welchem Verhältnis mischt man Fanta und Korn? Was macht der Tresen, wenn mal nichts zu tun ist?", verrät Akin den Journalisten Volker Behrens und Michael Töteberg in der Akin-Biografie "Im Clinch". Nürnberg lieferte dem Filmteam verrückte Sprüche und Situationen aus dem Arbeitsalltag – auf diese Weise wurde aus der Kulisse mehr und mehr eine echte Kiezkneipe.

Trailer - Der Goldene Handschuh

Und es war auch genau diese Kiez-Atmosphäre, welche die Szenen für die Schauspieler zu harter Arbeit machten: „Natürlich sind wir alle hoch konzentriert. Die Kneipe, dieser kleine Raum, sorgt für eine Intimität, in der dich alles, was passiert, beeinflusst – seien es Handlungen, Bewegungen oder auch die Tatsache, dass die Leute rauchen", so Uwe Rohde, der im Film den Kneipenbesitzer spielt. „Im Laufe des Drehtages merkt man dann, dass der Sauerstoff immer knapper wird, der Kopf fängt an zu qualmen – das ist alles sehr anstrengend. Wir Darsteller haben uns trotzdem in kürzester Zeit angefreundet. Das ist immer ein großer Vorteil bei Arbeiten, die eine so hohe Intensität abverlangen." Und so wunderte sich der eine oder andere Schauspieler am Ende eines langen Drehtages, dass er nach dem Verlassen der Kneipe in einer Halle und nicht direkt auf dem Hamburger Berg stand. Im Film ist die Kneipe ein Ruhepol, der dem Zuschauer Zeit zum Durchatmen bietet: „In einigen Kneipenszenen und während der Gespräche am Tresen mit Hark Bohm und den anderen Stammgästen kann man sich von den Mordszenen mal kurz erholen. Die Musik, die Kostüme und die Ausstattung führen den Zuschauer in die Welt der Siebzigerjahre. Das hilft dem Zuschauer auch, die nötige Distanz zu dem Thema zu bewahren", verrät Nurhan Şekerci-Porst. Eine Distanz, die uns der Regisseur in Honkas Wohnung nicht zugesteht. Hier in der Zeißstraße 74 in Hamburg Ottensen brachte er seine Opfer um und zerstückelte sie. Eine echte Herausforderung für das Filmteam, das in der dem Original akribisch nachempfundenen Wohnung auf engstem Raum arbeiten musste – und die Herausforderung stieg im Laufe des Films noch weiter: Denn zum dramaturgischen Konzept gehörte es auch, dass sich Honkas Wohnung von Mord zu Mord verkleinert, bis „Fiete" am Ende nur noch in einer winzigen Küche sitzt und sich sein Brot schmiert. „Man spürt, dass sich die Dinge verdichten. Edgar Allan Poe hätte das wahrscheinlich gefallen", sagt Fatih Akin in seiner Biografie.

Im Film leider nicht zu sehen: Jonas Dassler in seinem schicken Bademantel während einer Drehpause

Die Außenaufnahmen vom Handschuh und Honkas Wohnung wurden natürlich an den Originalschauplätzen gemacht und per VFX im Anschluss nachbearbeitet, um das Hamburg der 70er Jahre detailgetreu nachzustellen. Und so ist "Der Goldene Handschuh" zwar die grausame Geschichte eines Serienmörders, aber gleichzeitig auch ein Zeitzeugnis und Mileustudie eines dunklen Abschnitts der Hamburger Geschichte.

Credits: Fotos: bombero int/Warner Bros./Boris Laewen/Gordon Timpen
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